auf Ihre e-mail vom 6. November 1999 zu Forderungen zur
Verschärfung des Waffenrechts nach dem Amok-Lauf von Bad Reichenhall darf ich Ihnen
mitteilen:
Es besteht politisch Übereinstimmung, daß das Waffenrecht, das Waffengesetz und die 6
Rechtsverordnungen hierzu, umfassend novelliert werden sollte. Das geltende Recht muß im
Interesse der Anwender wesentlich transparenter und übersichtlicher gestaltet werden.
Gesetzesinitiativen zu einer umfassenden Reform des Waffenrechts, die in den letzten
Legislaturperioden im Deutschen Bundestag eingebracht worden waren, waren jedoch nicht
verabschiedet worden. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die strukturelle Neuordnung des
Waffenrechts in dieser Legislaturperiode weiter voranzubringen.
Nach vielen schwierigen und langwierigen Gesprächen wurde noch
unter der Ägide von Bundesinnenminister Kanther im Frühjahr 1998 ein Entwurf zum neuen
Waffenrecht vorgelegt. In diesem Entwurf wurde den Belangen insbesondere der Jäger-,
Sport- und Traditionsschützen sowie der Waffensammler weitgehend Rechnung getragen. Daß
deren Anliegen so weit als möglich Beachtung geschenkt wurde, beruhte nicht zuletzt auf
den auf unsere Initiative hin erfolgten Gesprächen unter Beteiligung insbesondere des
Deutschen Schützenbundes, des Deutschen Jagdschutzverbandes, des Forums Waffenrecht und
des Verbandes der Hersteller von Jagd- und Sportwaffen und Munition. Mit allen Verbänden
war schließlich weitgehender Konsens über die Details der Neuregelung erzielt worden.
Dies gilt namentlich für:
- die Ausgestaltung der Anforderungen an die Zuverlässigkeit bei der Erteilung einer
Waffenbesitzkarte und eines Jagdscheins,
- die Ausgestaltung des sog. Bedürfnisprinzips, also die Konkretisierung des
Bedürfnisses für Erwerb und Besitz von Schußwaffen bei Sportschützen und bei Jägern,
- den Erwerb von Gas- und Schreckschußwaffen,
- die Altersgrenzen für Kinder und Jugendliche und
- die Neuregelung des sog. "Erbenprivilegs".
Die Arbeitsgruppe Inneres und Sport hat ihre Arbeiten an dem Entwurf bei einer
Klausurtagung Anfang März 1999 sowie einem Gespräch mit den Verbänden im September 1999
fortgesetzt. Zentrale Vorschläge zur Änderung des Waffenrechts sind:
1. Zuverlässigkeit
a) Jägerprivileg
Bisherige Rechtslage: Die Jäger wurden nur nach dem Bundesjagdgesetz auf ihre
Zuverlässigkeit überprüft; die Verurteilung zu Fahrlässigkeitsdelikten führte bei
ihnen in der Regel nicht zur Unzuverlässigkeit; Ausnahme: fahrlässige Straftat i.Zs. mit
dem Umgang von Waffen, Munition und Sprengstoff.
Künftige Rechtslage: Gleiche Zuverlässigkeitskriterien für alle Waffenbesitzer,
also auch für Jäger, was das Bundesverwaltungsgericht ohnehin fordert, bei
grundsätzlicher Beibehaltung des bisherigen Zuverlässigkeitsmaßstabs im Waffenrecht,
d.h. insbesondere keine Zuverlässigkeit bei Verurteilung wegen fahrlässiger Straftaten
zu Freiheits-, Jugend- oder Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen
(Regelunzuverlässigkeit).
b) Extremistische Organisationen
Bisherige Rechtslage: Keine Annahme der Unzuverlässigkeit für Mitglieder in
extremistischen Organisationen
Künftige Rechtslage: Regelunzuverlässigkeit für einen Zeitraum von 10 Jahren
für Mitglieder von Vereinen, die wegen ihrer Militanz unanfechtbar verboten wurden.
c) Fahrlässigkeitsdelikte
Bisherige Rechtslage: Regelunzuverlässigkeit wegen Fahrlässigkeitstaten im
Zusammenhang mit Waffen, Munition, Sprengstoff.
Künftige Rechtslage: Regelunzuverlässigkeit bei den genannten Delikten nur bei
Verurteilung zu Freiheits-, Jugend- oder Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen sowie
bei sonstigen fahrlässigen Straftaten bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens
einem Jahr.
2. Erwerb, Besitz und Führen von Gas-/Schreckschußwaffen
Bisherige Rechtslage: Erlaubnisfrei ab Vollendung des 18. Lebensjahrs.
Neue Rechtslage: Schaffung eines Ordnungswidrigkeitentatbestandes, wenn jemand eine
solche Waffe führt und nicht durch Personaldokument sein Alter nachweisen kann sowie
Regelung über die Einziehung der Waffe; keine Einführung einer Händlerbescheinigung
oder eines sog. kleinen Waffenscheins.
3. Altersgrenzen für Kinder und Jugendliche
Bisherige Rechtslage: Altersgrenze für das Schießen auf Schießstätten
grundsätzlich 12 Jahre mit Ausnahmeregelung für besondere Fälle; Ausnahmegenehmigung
wird einzelnen Kindern erteilt. Erlaubnis zum Schießen mit Luftdruck-, Federdruck und CO2
-Waffen für Kinder von 12 bis 14 Jahren; mit schriftlichem Einverständnis der
Sorgeberechtigten für alle sonstigen Waffen bis 16 Jahre.
Künftige Rechtslage: Der Unions-Entwurf sieht vor, an der Altersgrenze von 12
Jahren festzuhalten. In jedem Bundesland soll aber zur Förderung des Leistungssports
einzelnen Schießsportvereinen, die besonders befähigte Ausbilder und Betreuer besitzen,
eine Ausnahmegenehmigung von den Alterserfordernissen für Kinder und Jugendliche gewährt
werden können. Die Beratungen mit den Verbänden haben dazu geführt, dass statt dessen
eine einheitliche Altersgrenze von 10 Jahren ohne o.g. Ausnahmemöglichkeit erwogen wird.
4. Bedürfnisregelung bei Sportschützen
Bisherige Rechtslage: Unbegrenzte Erwerbserlaubnis für Einzelladerlangwaffen sowie
für den Erwerb von Selbstladelangwaffen und zwei Kurzwaffen, wenn durch
Vereinsbescheinigung nachgewiesen, daß wenigstens 6 Monate regelmäßig und erfolgreich
am Übungsschießen teilgenommen wurde.
Neue Rechtslage: Unbegrenzter Erwerb und Besitz von Einzellader- und
Repetierlangwaffen, Regelbedürfnis für 5 halbautomatische Langwaffen und 5 Kurzwaffen
(Erleichterung), allerdings unter engeren Voraussetzungen wie Eignung und Erforderlichkeit
der Waffe für eine Sportdisziplin nach der Sportordnung eines Schießsportverbandes;
Regelung staatlicher Anerkennung von Schießsportverbänden.
5. Bedürfnisregelung bei Jägern
a) Zahl der Langwaffen:
Bisherige Rechtslage: Erwerb und Besitz einer unbegrenzten Zahl Einzellader und
Repetierlangwaffen sowie halbautomatischer Langwaffen mit Magazinkapazität bis zu 2
Patronen.
Künftige Rechtslage: Langwaffen jeder Art und Menge, die für die Jagd geeignet
sind, ohne Munitionsbegrenzung bei Jahres- und Jugendscheininhabern (= Erleichterung); bei
Tages- und Ausländerjagdscheininhabern Glaubhaftmachung eines Bedürfnisses nötig.
b) Kurzwaffen:
Bisher: Bedürfnis für 2 Kurzwaffen unterstellt, selbst wenn diese für die Jagd
nicht geeignet.
Künftig: Eignung für die Jagd muß bestehen.
6. "Erbenprivileg"
Bisherige Rechtslage: Erteilung einer Waffenbesitzkarte zum Besitz
erlaubnispflichtiger Schußwaffen bei Antragstellung innerhalb eines Monats nach Erbfall
allein aufgrund der Zuverlässigkeit, d. h. ohne Bedürfnis, ohne Sachkunde, ohne
Beachtung der Altersgrenze.
Künftige Rechtslage: Erteilung einer Waffenbesitzkarte zum Besitz
erlaubnispflichtiger Schußwaffen bei Antragstellung innerhalb von 3 Monaten seit Ablauf
der für die Ausschlagung des Erbes maßgeblichen Frist nach dem Erbfall bei Vorliegen von
Zuverlässigkeit, Belehrung über Sachkunde, vorübergehender Aussetzung der
Schießfunktion (Blockiersystem), wobei die Behörde ein Nachschaurecht zur Kontrolle der
ausreichenden Sicherung der Waffen erhält.
Zu Detailfragen bei der Novellierung des Waffenrechts nehme ich wir
folgt Stellung:
Die zahlenmäßige Begrenzung der Langwaffen, die Sportschützen und Jäger
erwerben dürfen, ist Ausfluß des sog. Bedürfnisprinzips. Bereits das geltende
Waffengesetz fordert im Einklang mit der Richtlinie 91/477/EWG (Feuerwaffenrichtlinie) ein
Bedürfnis für den Zugang zu Schußwaffen. Auch bei einer Novellierung des Waffenrechts
müssen wir an diesem Bedürfnisprinzip festhalten.
Im Rahmen der Novellierung war vorgesehen, eine erleichterte
Bedürfnisanerkennung für ein Grundkontingent von Schußwaffen für bestimmte
Nutzergruppen vorzusehen. Eine zahlenmäßige Festlegung ohne Berücksichtigung der
sonstigen im Gesetz enthaltenen Regelungen ist nicht ratsam.
Diejenigen, die aufhören zu jagen oder zu schießen, sollen nach
unserem Entwurf besser stehen als bisher. Nach dem geltenden Waffenrecht ist eine
waffenrechtliche Erlaubnis bei Wegfall der für die Erteilung maßgeblichen
Voraussetzungen zu widerrufen. Im Gegensatz dazu ist ein zwingender Widerruf bei
Bedürfniswegfall im Entwurf nicht mehr vorgesehen. Dies ermöglicht es den zuständigen
Behörden besser auf die Umstände des Einzelfalles reagieren zu können.
Die regelmäßige erneute Überprüfung des Bedürfnisses, die der
Entwurf vorsieht, bedeutet zwar Verwaltungsmehraufwand. Aber: Bereits nach geltendem Recht
sind Erlaubnisinhaber mindestens alle fünf Jahre auf ihre Zuverlässigkeit zu
überprüfen. Es ist fraglich, ob eine Einbeziehung des Bedürfnisses in diese
vorgeschriebene Überprüfung tatsächlich unvertretbaren Verwaltungsmehraufwand bedeutet.
Tatsache aber ist, daß pro Jahr mehr als 6.000 erlaubnispflichtige Schußwaffen aus
legalem Besitz abhanden kommen und ein Teil dieser Verluste erst durch behördliche
Nachprüfungen bekannt wird. Jede abhanden gekommene Schußwaffe erhöht jedoch den
illegalen Waffenbestand und damit das Potential für Kriminelle.
Der Forderung, Waffen-, Munitions- und Patronensammlern im Rahmen
einer Novellierung einen Sonderstatus einzuräumen, wurde bisher mit Bedenken begegnet.
Zwar bilden den Grundstock von Sammlungen technisch oder historisch bedeutsame Waffen oder
Munition. Waffensammlungen beschränken sich in der Regel jedoch nicht auf alte Waffen.
Namentlich die Patronensammler-Vereinigung hat bei dem Gespräch im September 1999
Änderungswünsche zum Entwurf vorgetragen, über die jedoch noch nicht abschließend
beraten wurde.
Die von der SPD und anderen erhobene Forderung nach Einführung
einer staatlichen Kontrolle für den Erwerb und das Tragen von Schreckschuß-, Reizstoff-
und Signalwaffen (sog. "kleiner Waffenschein") haben wir - wie dargelegt - bei
unseren Beratungen abgelehnt. Zwar werden mehr als 50 % der mit Schußwaffen begangenen
Straftaten mit den erlaubnisfreien Schreckschuß-, Reizstoffwaffen begangen. Aber der sog.
"kleine Waffenschein" wurde - im Gegensatz zur Einführung einer
Waffenbesitzkartenpflicht - nur einen Bruchteil der vorhandenen Schreckschuß-,
Reizstoffwaffen erfassen.
Damit bliebe der sog. "kleine Waffenschein" ein untaugliches Mittel. Daher haben
wir - in Übereinstimmung mit den Verbänden - den Weg bevorzugt, einen
Ordnungswidrigkeitstatbestand zu schaffen, wenn jemand eine solche Waffe führt und nicht
durch Personaldokument sein Alter nachweisen kann. Zugleich haben wir die Möglichkeit zur
Einziehung der Waffe geschaffen. Damit wollen wir dem Mißbrauch dieser Waffen begegnen.
An unserem Ziel, ein leichter handhabares, transparentes Waffenrecht
zu schaffen, ohne daß es zu Sicherheitsdefiziten, aber auch ohne daß es zu überzogenen
Restriktionen für Jäger, Schützen und Sammler kommt, halten wir fest. Die neue
rot-grüne Koalition hat ebenfalls die Novellierung des Waffenrecht angekündigt. Wir
haben jedoch die Befürchtung, daß es hierbei zu ungerechtfertigten Restriktionen kommt.
Dies legt ein Entwurf vom Frühjahr 1999 nahe, der z.B. Waffenbesitz des Erben nur dann
zuläßt, wenn besondere persönliche Gründe den Schußwaffenbesitz beim Erben
rechtfertigen.
Unsere Position bei den Überlegungen zur Reform des Waffenrechts war und ist:
Wir möchten bei allen Reformüberlegungen ebenso Sicherheitserfordernissen wie den
berechtigten Anliegen der bundesweit 1,6 Millionen Sportschützen, 350.000 Jäger und der
Waffensammler in angemessener Weise Rechnung tragen. Dies schließt insbesondere
willkürliche Beschränkungen des Waffenbesitzes aus. Denn richtig
ist, daß nicht die über 10 Millionen in Deutschland in privatem Besitz befindlichen,
legal zugelassenen Waffen, sondern die vielen illegal beschafften Waffen das eigentliche
Problem der inneren Sicherheit darstellen.
Um so mehr waren wir froh, in unseren bisherigen Gesprächen mit den Verbänden
weitestgehenden Konsens über die Neuregelung gefunden zu haben.
Wir wollen nicht zulassen, dass die rot-grüne Mehrheit im Bundestag sachlich nicht
gerechtfertigte Verschärfungen des Waffenrechts beschließt; auf entsprechende
Vorschläge werden wir mit Änderungsanträgen reagieren, damit die gebotene Neuregelung
des Waffenrechts sowohl Sicherheitsinteressen wie solchen waffeninteressierter Gruppen
Rechnung trägt.
Mit freundlichen Grüßen
(Dr. Herzog)