Sehr geehrter Herr Özdemir,
mir sind die Vorstellungen Ihrer Partei und Fraktion in groben
Zügen
bekannt. Ihre Veröffentlichung im Internet sowie auch die "angeheizte"
Diskussion nach den schlimmen Ereignissen in Bad Reichenhall veranlassen
mich, mich an Sie zu wenden. Ich bin eigentlich das, was man als
"unpolitischen Menschen" bezeichnen müßte, als jemand, der dem
"politischen Geschäft" sowie dem politischen Tagesgeschehen in seinem eigenen
Leben keine grosse Bedeutung beimisst. Ich gestehe, dass es mir als
Kriegsdienstverweigerer und ehemaligem Zivildienstleistenden, als nach wie vor
überzeugtem Pazifisten vor einigen Jahren schon recht unglaubhaft
vorgekommen wäre, daß ich eines Tages ausgerechnet in der Angelegenheit
"öffentliches Waffenrecht" etwas entfalten würde, was man als "politische
Aktivität" bezeichnen könnte.
Die Forderungen nach einer "Verschärfung des
Waffenrechts", die so glatt
und griffig daherkommen, sind in ihrer oft erkennbaren Undifferenziertheit
für mich aber nachgerade unerträglich, so daß ich nicht umhinkomme.
Wer sich mit dem Phänomen "Sicherheitsrisiko Mensch"
befasst, wem es um Leib und Leben seiner Mitmenschen geht und wer in diesem Zusammenhang
Eingriffe in Freiheitsrechte ins Auge fasst, muss prüfen, was mit welchen Mitteln
erreicht werden kann. Am Anfang könnte man sich fragen, welche Bereiche der öffentlichen
Sicherheit von solcher Wichtigkeit sind, daß politisches Handeln dringend geboten ist.
Angesichts der Tatsache, daß sich die Kriminalität mit Schusswaffen seit Jahren in
Deutschland auf einem unverändert und (im internationalen Vergleich) niedrigen, letzlich
sogar
leicht sinkenden Niveau befindet, wiewohl die Berichterstattung darüber in
Funk, Fernsehen und Presse in den letzten fünfzehn Jahren um einige Hundert Prozent
zugenommen haben dürfte, könnte man gar auf dem Standpunkt stehen, daß es wichtigere
Themen gibt.
Im Zusammenhang mit dem Waffenbesitz erlaubnispflichtiger
Schusswaffen
stehen am Anfang meines Erachtens jedenfalls die Fragen:
1. Welche Personengruppen (von Behörden und Militär abgesehen)
verfügen
über erlaubnispflichtige Schusswaffen ?
2. Welche Personengruppen treten kriminologisch besonders in
Erscheinung
und stellen ein Sicherheitsrisiko dar ?
3. Wie kann diesem Sicherheitsrisiko entgegengetreten werden ?
Danach ist festzustellen:
Ad 1:
a) Jäger, Sportschützen, Sammler, Waffenscheininhaber
b) sonstige Waffenbesitzer
Die zu a) genannten Personen sind diejenigen, die
erlaubnispflichtige
Schusswaffen legal besitzen. Die zu b) Gennannten Personen sind diejenigen, die
erlaubnispflichtige Schusswaffen ohne das Vorliegen einer behördlichen Erlaubnis, also
illegal, besitzen. Interessant scheint schon das
Zahlenverhältnis. Der Bestand an legal besessenen Waffen (etwa 10 Millionen
Einheiten) macht in Deutschland nur etwa ein Drittel des in Privathand
vorhandenen Schusswaffenbestandes aus. Zwei Drittel (etwa 20 Millionen
Einheiten - ich folge hierbei einer Zahl der Gewerkschaft der Polizei) sind
illegal.
Ad 2:
Die Untersuchungen des Bundeskriminalamtes, die in den "Waffen- und
Sprengstoff- Jahresberichten" veröffentlicht werden, weisen aus, daß bei
den mit Schusswaffen begangenen Delikten, bei denen es zu einer
Sicherstellung der Waffe kommt, etwa 4 % mit legal besessenen,
erlaubnispflichtigen Waffen begangen werden. Etwa 96 % entfallen auf
illegal besessene und erlaubnisfreie Waffen. Das Niveau ist in den für mich
überschaubaren Berichtszeiträumen (1995 bis 1998) gleichbleibend, bei
Missbrauch legaler, erlaubnispflichtiger Waffen konstant sinkend.
Es ist also festzustellen, daß die große Masse der Straftaten mit
Schusswaffen von Personen begangen wird, die eine Schusswaffe illegal
besitzen, die sich also beim Erwerb und während des Besitzes der
Schusswaffe um behördliche Genehmigungserfordernisse nicht gekümmert haben. Diese
Personengruppe kann mit dem Ordnungsrecht nicht erreicht werden.
Angesichts der Zahlenverhältnisse kann verkürzt gesagt werden,
daß mit dem
Mittel des öffentlichen Waffenrechts ein Einfluss auf etwa 1/3 des
Bestandes erlaubnispflichtiger Schusswaffen und etwa 4 % des
kriminologischen Potentials erreicht werden können. Der Bestand an illegal
besessenen Schusswaffen sowie das von diesem Bestand ausgehende
Bedrohungspotential für unser Leib und Leben ist mit dem öffentlichen
Waffenrecht somit im Prinzip überhaupt nicht zu beeinflussen.
Ad 3:
Das Fazit ist daher, daß Veränderungen des ohnehin schon recht strengen
öffentlichen Waffenrechts in Richtung auf eine weitere Verschärfung - so
unpopulär dies klingen mag - alleine aus den vorganannten Gründen schon
keinerlei Gewinn an innerer Sicherheit erbringen können. Möglicherweise
mögen verschärfte Strafandrohungen für mit Schusswaffen begangene
Straftaten einen Erfolg zeitigen. Jedoch habe ich den Eindruck gewonnen,
als stehe Ihre Partei dem Gedanken an repressive Mittel zur Bekämpfung des
Problemis "Kriminalität" eher skeptisch gegenüber. Ich höre in Diskussionen
in diesem Zusammenhang recht häufig Auffassungen wie etwa "die Grünen
kannst Du doch nicht mehr wählen, die wollen die Mörder freilassen, aber
die gesetzestreuen Bürger entwaffnen". Das mag zugegebenermaßen recht
überspitzt klingen, ist aber - wie gesagt - ein mir nicht selten
engegengebrchtes Bild. Vielleicht überdenken Sie einmal den Eindruck, den
Ihre Vorstellungen hinsichtlich der lebenslangen Freiheitsstrafe einerseits
und dem öffentlichen Waffenrecht andererseits in einer Gesamtschau abgeben kann. Von den
Sicherheitsinteressen vieler Menschen in unserem Land ist dieser Eindruck, ich möchte es
vorsichtig formulieren, recht weit weg.
Lassen Sie mich abschließend der Auffassung entgegentreten, ein
"Mehr an
Schusswaffen" bedinge zwangsläufig ein "Mehr an Verbrechen". In
Deutschland hat sich in den letzten fünfundzwanzig Jahren die Zahl legal besessener,
erlaubnispflichtiger Schusswaffen erheblich gesteigert. Gleiches gilt für die Zahl der
illegal besessenen Schusswaffen, hinsichtlich derer seitens der Behörden ein
explosionsartiges Anwachsen konstatiert wird. Gleichwohl ist die Zahl der mit
"scharfen Schusswaffen" begangenen Straftaten oder der Kapitalverbrechen gegen
das Leben im gleichen Zeitraum nicht gewachsen.
Ich stelle Ihnen anheim, sich wegen der Zahlen und weiterer
Einzelheiten
auf der Internetseite
http://www.wartburgstadt.de/schuetzenverein/Waffenrecht/Brief_an_Spiegel.htm
sowie den angrenzenden Internetseiten zu vergewissern.
In der Hoffnung, Vorbehalten und Ängsten engegengewirkt sowie eine
sachliche Auseinandersetzung gefördert zu haben verbleibt
Mit freundlichem Gruß
Reinhard Becker
Rechtsanwalt